Ueber das Auftreten neuer Sterne

Rede zur Gedächtnisfeier des Stifters der Berliner Universität König Friedrich Wilhelms III

in der Aula

am 3. August 1922

gehalten von

Walther Nernst.


Berlin 1922.

Druck der Norddeutschen Buchdruckerei und Verlagsanstalt
SW., Wilhelmstraße 32.


Hochansehnliche Versammlung!
Werte Kollegen!
Liebe Kommilitonen!

Der 3. August als Geburtstag desjenigen Hohenzollern, unter dessen Regierung unsere Universität gegründet wurde, ist stets als ein der Dankbarkeit gewidmeter Tag festlich von uns begangen worden; darüber hinaus pflegten meine Vorgänger allgemein dessen zu gedenken, was unser Land den Hohenzollern schuldet. Und in der Tat, nie wird, was die Zukunft auch bringen mag, im preußischen Volke die Erinnerung an Herrscher wie den großen Kurfürsten oder Friedrich Wilhelm I. oder Friedrich den Großen oder Kaiser Wilhelm I. erlöschen. Auch von jedem dieser Helden einer großen Vergangenheit kann es heißen:

Ewig auf den Lippen schweben,
Wird er, wird im Volke leben,
Besser als in Stein und Erz.

Als trotz der unerhörten Tapferkeit unserer Krieger der schreckliche Zusammenbruch erfolgte, verschwand sozusagen über Nacht unsere alte Regierung; wenn wir an das Wohl unseres Vaterlandes denken, das uns höher stehen muß als jede einzelne Staatsform, so wird niemand es sich verhehlen dürfen, daß nach den trüben Oktober- und Novembertagen des Jahres 1918 - und zwar trotz der in der neueren Geschichte unerhörten Vergewaltigung unseres gesamten Wirtschaftslebens durch unsere Feinde - doch auch so manches besser sich entwickelt hat, als viele bekümmerte Bürger damals es sich vorgestellt haben. Wer von uns hätte insbesondere zu hoffen gewagt, daß die Pflege der Wissenschaft an den deutschen Hochschulen eine, wenn natürlich der Not der Zeit auch nicht entrückte, so doch immerhin im wesentlichen ungestörte Fortentwicklung nehmen würde. Dies heute nicht zu verschweigen, ist ebenfalls ein Gebot der Dankbarkeit.

Die Universität ist zwar gewohnt, genau wie der einzelne Forscher auf seinem eigentlichen Gebiete äußerste Vorsicht in seinen Schlußfolgerungen üben soll, so auch als Ganzes zu den Tagesereignissen keine unmittelbare Stellung zu nehmen, sondern einer abwartenden und abwägenden Haltung sich zu befleißigen, - im Gegensatz zum Politiker, von dem man anstatt zögernder Kritik rasche Entschlüsse fordert. Aber die Universität darf meines Erachtens nicht schweigen, wenn sie den innersten Kern ihrer Bestrebungen bedroht sieht; dies ist der Fall, wenn man es in unseren Tagen erleben muß, daß dort, wo Kämpfe mit dem zwar scharfen, aber ritterlichen Waffen des Geistes ausgetragen werden sollten, heimtückischer Meuchelmord alle Fäden der Verständigung und die Entwicklung zum Besseren jäh zerschneidet.

Tyrannenmord ist stets verschieden beurteilt worden. Unser Schiller, den wir nicht nur als Dichter, sondern auch als Weltweisen verehren, hat ihn in einer seinen schönsten Balladen mindestens nicht gemißbilligt und in einem seiner größten Dramen menschlich zu erklären gesucht. Der große englische Lehrmeister in allen menschlichen und daher auch politischen Fragen hat, wie mir scheint, auch dies Problem mit erschöpfender Klarheit behandelt, als er schilderte, wie der an sich edelmütige und von Hingabe an das allgemeine Wohl erfüllte Brutus nicht nur an sich und seiner unschuldigen teuersten Angehörigen die Nemesis für das Verbrechen sich erfüllen sah, sondern auch erkennen mußte, daß er durch seine unselige Tat, sozusagen naturgesetzlich, das Gegenteil des von ihm Erstrebten erzielt hatte.

Kann also immerhin unter Umständen menschliches Mitgefühl in Fällen, in denen Gewalttätigkeit durch Gewalt bekämpft wird, auch dem Meuchelmörder nicht ganz versagt bleiben, so entfallen alle mildernden Umstände, wenn rein politische Meinungsverschiedenheiten auf dem Wege heimtückischen Überfalls ausgefochten werden sollen. Kein Bürger ist daran gehindert, einen Minister, den er auf falscher Bahn befindlich glaubt, mit den Waffen des Geistes in Wort und Schrift zu bekämpfen. Und eine auch in unseren Hörsälen stets befolgte Aufgabe der wissenschaftlichen Erziehung ist es, den jungen Kommilitonen nicht nur zum logischen Denken, sondern auch zum freimütigen Bekenntnis dessen und zum offenen Einstehen dafür zu erziehen, was er für wahr und richtig erachtet. So muß denn die Entrüstung über das entsetzliche Verbrechen im Grunewald, an einem Manne verübt, der als Patriot im Dienste des Vaterlandes wirkte und als Politiker, wie selten einer, die Hilfsmittel der Wissenschaft sich zu Diensten zu machen bemühte, nirgends größer sein, als gerade in akademischen Kreisen. Vor allem natürlich an der Menschlichkeit, aber auch am akademischen Geiste versündigt man sich, wenn man einen geistvollen Forscher gewaltsam aus dem Wege räumt; bezeichnete doch unser Gustav v. Schmoller noch kurz vor seinem Tode, im Jahre 1917, Dr. Walter Rathenau als einen der größten sozialpolitischen Schriftsteller unserer Tage, dessen Staatssozialismus dem Alt-Preußens nahe stehe, und nur auf Grund einer durch eifrigstes Studium erworbenen Sachkenntnis konnte Rathenau gleich nach Ausbruch des Krieges in weiser Voraussicht die Gefahr der Rohstoffversorgung erkennen und wirksam bekämpfen.

Verdienste und Entwicklungsgang Walter Rathenaus hier zu schildern, kann nicht meine Aufgabe sein, auch darf ja sicher erwartet werden, daß unserm Volke baldigst von berufener Seite ein eingehendes Lebensbild seiner Persönlichkeit dargeboten werden wird. Aber einige kurze Bemerkungen und persönliche Erinnerungen möchte ich nicht unterdrücken.

Unser Zeitalter wird kaum einen zweiten Mann neben Rathenau zu nennen wissen, der die Kultur seiner Zeit so vielseitig und dabei so gründlich aufgenommen hat. Abgesehen von seinen schon erwähnten staatswissenschaftlichen Schriften veröffentlichte er zahlreiche Essays, auch solche naturwissenschaftlichen Inhalts, wie er ja auch in Physik als Hauptfach sein Doktorexamen abgelegt hat. Ähnlich, wie sein um die technische Entwicklung Deutschlands hochverdienter Vater, war er führender Ingenieur wie auch Großkaufmann in einer Person, ferner in der bildenden Kunst und im Bauwesen erheblich mehr als Dilettant, bisweilen maßgebender Berater. Als er vor längerer Zeit unsere Kolonien bereist hatte, legte er seine Erfahrungen und seine offenbar freimütigen Schlußfolgerungen in einer ausführlichen Monographie nieder, die er in nur 5 Exemplaren drucken ließ, eines für Kaiser Wilhelm II., die übrigen Exemplare für den Kolonialminister, für sich und seine nächsten Angehörigen. Wohl wenige Gelehrte werden mit ihren Werken so verfahren können oder wollen, wie überhaupt Rathenaus ganzer Entwicklungsgang nur verständlich wird, wenn man bedenkt, daß ihm von Jugend an praktisch unbegrenzte Mittel zur Verfügung standen, von denen er den weisesten Gebrauch zu machen wußte.

Als ich seinerzeit die Chancen der geplanten Erklärung des unbeschränkten U-Bootkrieges mit Dr. Rathenau erörterte, waren wir beide uns natürlich über die technische Unzulänglichkeit unserer Machtmittel auf diesem Gebiete vollkommen klar; sehr zu meinem Erstaunen - ich hätte vorsichtiger sein wollen - meinte er, man müsse es versuchen, auch wenn die Chancen nur 1 zu 10 wären, doch sah im übrigen auch er unsere Erfolgsmöglichkeit für wesentlich geringer an.

Im gleichen Sinne trat er bekanntlich Oktober 1918 für eine Massenerhebung ein, wie sie Gambetta 1870 zu organisieren wußte, und schließlich entsprach es ebenfalls vollkommen seiner Natur, wenn er kurz vor seinem Tode alle Warnungen mißachtete.

Wer Dr. Walter Rathenau mit irgend einem Schlagwort, sei es Monarchist oder Republikaner, sei es Feudalist oder Demokrat, bezeichnen oder ihn gar mit irgendeinem Berufsparlamentarier unserer Zeit in Parallele setzen will, der hat von seinem innersten Wesen wenig begriffen. Zuletzt war er ein treuer Diener der Republik, aber gewiß kein Republikaner im landläufigen Sinne; da er seine Hoffnung setzte auf die philosophischen und naturwissenschaftlich-technischen Umwälzungen unserer Zeit, die er alle genau kannte, und an eine logische Entwicklung des Staatswesens aus den modernen Anschauungen heraus fest glaubte, so fand in ihm eine Vorliebe für eine spezielle Staatsform keine Stelle. Er war also ein Opportunist größten Stieles, frei von jeder dogmatischen Voreingenommenheit, eine Eigenschaft übrigens, die wir bei näherem Zusehen mehr oder weniger deutlich bei jedem Staatsmanne von größerer Bedeutung wiederfinden können.

Noch wenige Tage vor seinem Ende berieten wir im kleinen Kreise eines Abends in meiner Wohnung gewisse Fragen des internationalen wissenschaftlichen Verkehrs; da sprach er das schöne Wort, daß es für die Gesundung Europas einen Fortschritt bedeuten würde, wenn wenigstens einige Gebiete menschlicher Kultur dem Kampfe der Tagespolitik entzogen werden könnten. Dies Wort, das sich zunächst auf die äußere Politik bezog, gilt nicht minder für das innere Leben unserer Nation. Möge der Abscheu vor der Freveltat und zugleich die Verurteilung roher Gewalt, ja selbst, wenn es sich nur um gewaltsame Mißachtung der Meinung Andersdenkender handelt, die Gutgesinnten zu gemeinsamer Arbeit vereinen, und mögen in Deutschland die geistigen Waffen besonnener Kritik, geführt von ehrlicher Überzeugung und, wo angängig, mit akademischer Gelassenheit wieder mehr zur Anerkennung gelangen.

"Nec fasces, nec opes, solum artis sceptra perennant". (Nicht rohe Gewalt und nicht die Macht des Reichtums, nur des Geistes Szepter währen ewig.)

Obiger schöner, alter, aber wie auf unsere Zeit gemünzter Spruch findet sich auf einem Grabdenkmal in der Teyn-Kirche zu Prag, darstellend das Relief eines Ritters, der die rechte Hand auf sein Schwert, die linke auf eine Himmelskugel stützt. Dieser gelehrte Ritter war Tycho de Brahe, der 1601 in Prag verstarb. Einer seiner merkwürdigsten Entdeckungen, nämlich der des plötzlichen Auftretens neuer Sterne, sei der wissenschaftliche Teil meiner Ausführungen gewidmet.

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Das Aufflammen neuer Sterne am Fixsternhimmel ist ein sehr augenfälliges Merkmal von Weltkatastrophen, die sich allerdings in meistens ganz ungeheuer großen Entfernungen abspielen, aber schon deshalb unsere ganz besondere Aufmerksamkeit verdienen, weil es sich hier um Energieänderungen von fast unfaßbar großen Dimensionen handelt.

Der Physiker und Chemiker soll allerdings auch Phänomenen von winziger Kleinheit nachgehen. Als Oersted die Ablenkung einer leicht beweglichen Magnetnadel entdeckte, die sich in einer im Kopenhagener physikalischen Institut noch heute als kostbarer Reliquie aufbewahrten Bussole befindet, trat zum ersten Male der Elektromagnetismus in Erscheinung, der jetzt in den zahllosen Motoren der Elektrotechnik täglich die gewaltigsten Wirkungen ausübt, wie ja überhaupt die Geschichte der Naturwissenschaft reich an zunächst recht unscheinbaren Entdeckungen ist, die später industrielle Verwendung im allergrößten Maßstabe fanden. Und auch dort, wo an eine praktische Verwertung im Dienste des Menschengeschlechts wohl kaum je zu denken ist, verlangt das theoretische Bedürfnis des Naturforschers häufig mit Recht die sorgfältigste Untersuchung. Trotzdem aber scheint es andererseits durchaus zweckmäßig, daß man Erscheinungen von unerhörter Mächtigkeit besonders eingehend nachspürt, weil sicherlich gewaltige Vorgänge auch von Naturgesetzen fundamentaler Art beherrscht werden.

Das Auftreten eines neuen Sternes war ursprünglich dadurch charakterisiert, daß ziemlich plötzlich an einer Stelle des Himmels, woselbst vorher kein Stern zu entdecken war, ein solcher aufleuchtete, um nach einer mehr oder weniger langen Periode der Sichtbarkeit entweder ganz zu verschwinden oder bei aufmerksamer Prüfung der betreffenden Stelle des Himmels als schwaches Sternchen sichtbar zu bleiben. Eine der ältesten Beobachtungen auf diesem Gebiete verdankt man, wie schon bemerkt, dem großen Vorläufer der modernen Astronomie, Tycho de Brahe. Dieser neue Stern tauchte gegen Ende November 1572 im Sternbilde der Kassiopeia plötzlich auf und wurde der Venus an Helligkeit gleich, so daß er teilweise auch schon am Tage sichtbar war, um dann allmählich wieder zu verblassen und bereits nach etwa 1½ Jahren für das unbewaffnete Auge unsichtbar zu werden. Übrigens ist Tychos neuer Stern bis auf den heutigen Tag der hellste geblieben, indem er alle anderen Fixsterne in seinem Kulminationspunkte weit überstrahlte. In der Folgezeit ist eine  große Anzahl analoger Erscheinungen beobachtet und in neuerer Zeit besonders mit Hilfe der Spectroscopie sehr genau untersucht worden, leider aber doch noch in zu geringer Anzahl, um nicht mancherlei Lücken zu bieten. Immerhin können folgende allgemeine Schlüsse als sicher gelten.

Daß es sich nicht etwa um neu entstandene Fixsterne handelt, sondern nur um eine starke Zunahme der Helligkeit sehr schwacher, weil weit entfernter Sterne, wird nirgends mehr bezweifelt. Häufig hat man, besonders durch nachträgliche Untersuchungen photographischer Aufnahmen, nachweisen können, daß genau an der Stelle, woselbst der sogenannte "neue Stern" auftauchte, vorher bereits ein schwaches Sternchen gestanden hat; in einigen wenigen Fällen leuchtete auch ein schon vorher untersuchter Stern auf, d. h. trat, wie man sich ausdrückt, in das "Novastadium" ein.

Die Entwicklungsgeschichte eines neuen Sterns verläuft so weitgehend parallel, daß sich in kurzen Zügen eine Beschreibung geben läßt, die im wesentlichen auf alle mehr oder weniger genau bisher beobachteten, etwa 40, Exemplare paßt. Das Anwachsen der Helligkeit geschieht, wenn man bedenkt, daß es sich bei einem Stern um einen Körper von ungeheurer Masse handelt, überaus schnell, nämlich innerhalb weniger Tage; und innerhalb ein bis zwei Stunden kann sich die Helligkeit verzehnfachen, ein sicherer Beweis, daß es sich hier um Vorgänge ausgesprochen katastrophaler Natur handelt.

Nach dem erstmaligen plötzlichen Aufleuchten folgt ein mit deutlichem Farbenwechsel verbundener, etwas langsamerer Abfall der Helligkeit, indem letztere innerhalb etwa eines Monats auf ungefähr den hundertsten Teil sinkt; hierauf folgen kleinere, ziemlich unregelmäßige Schwankungen von einer Periode, die nach wenigen Tagen zählt und deren Betrag mehrere Größenklassen ausmachen kann. Sehr bemerkenswerterweise ist die Periode dieser Schwankungen wie ihr Betrag bei verschiedenen "Novae" stets von derselben Größenordnung. Ob schließlich der Stern wiederum auf wenigstens annähernd diejenige Helligkeit zurücksinkt, die er vor dem ersten Aufleuchten besessen hat, ist natürlich, da es hierzu offenbar sehr langer Zeiträume bedarf, nicht sicher zu entscheiden, darf aber nach dem ganzen Verlaufe der Erscheinung und auf Grund einzelner Beobachtungen als wahrscheinlich angenommen werden.

Die den Abfall begleitenden Farbänderungen spiegeln sich ebenfalls im wesentlichen ziemlich gleichartig ab; der anfänglich hellweiße neue Stern wird mit dem Absinken der Helligkeit weißlich, gelb bis rötlich und schließlich wieder weißlich.

Der so plötzliche Anstieg der Helligkeit erschwert natürlich die nähere spektroskopische Untersuchung der auf dem Stern bei beginnender Katastrophe sich abspielenden Vorgänge außerordentlich; in der Regel steht der neue Stern bei seiner Entdeckung schon unmittelbar vor dem Höhepunkt seiner Helligkeit, so daß für die Zeit vor dem Maximum nur spärliche Beobachtungen vorliegen, dem Umstande entsprechend, daß es sich unter der ungeheuren Zahl der Sterne um einen einzigen handelt, der plötzlich und in nicht vorauszusehender Weise die oben beschriebenen Erscheinungen zeigt. Wohl aber kann wenigstens in den Fällen, in denen der Stern vor der Katastrophe bekannt war, die Zunahme der Helligkeit von ihrem ursprünglichen Zustande bis zum Kulminationspunkte angegeben werden; dieselbe beträgt meistens 10 - 15 Größenklassen, d. h. der Stern wird infolge der ihn betreffenden Katastrophe etwa 10000 - 1000000 mal heller, als er vorher war. Wenn wir daran denken, wie ungeheure Energiemengen jeder gewöhnliche Fixstern pro Sekunde in den Weltenraum entsendet, und wenn wir uns diese Energiemenge während eines Tages z. B. verhunderttausendfacht denken, so bekommen wir einen Begriff von der Ungeheuerlichkeit der Katastrophe, um die es sich bei dem Auftreten eines sogenannten neuen Sterns handelt und die an Gewaltigkeit weit alles übersteigt, was uns sonst in der Naturbetrachtung entgegentritt.

Was nun die Auffassungen anlangt, die man sich über die Beschaffenheit jenes katastrophalen Ereignisses machen kann, so hat schon der Direktor der Babelsberger Sternwarte, unser Kollege Guthnick, vor längerer Zeit betont, daß die ganzen Erscheinungen den Eindruck erwecken, als ob es sich um einen normalen, mit der Entwicklung des Sterns eng zusammenhängenden Vorgang handle. Damit würden dann alle diejenigen Erklärungen entfallen, welche den plötzlichen kolossalen Anstieg der Helligkeit eines Sterns auf äußere Ursachen, also etwa auf den Zusammenstoß zweier Sterne oder auf das Eindringen eines Sterns in eine Wolke kosmischen Staubes oder dergleichen, zurückzuführen suchen. In voller Übereinstimmung mit vielen Astronomen muß man zunächst es physikalisch für schwer vorstellbar erklären, daß derartige Zusammenstöße in der Zeit von wenigen Stunden das Aussehen eines Stern so durchgreifend verändern könnten, und daß hierauf ein so schneller Abfall der Helligkeit einsetzte, wie es bisher alle Beobachtungen gelehrt haben.

Noch mehr Wert aber möchte ich auf folgenden Umstand legen. Die verschiedenen Fixsterne sind zwar von wenigstens annähernd gleicher Masse, aber außerordentlich verschiedener Dichtigkeit und daher auch von außerordentlich verschiedener räumlicher Ausdehnung, dergestalt, daß man bekanntlich zwischen Riesensternen und Zwergsternen unterscheidet. Die Erscheinungen müßten also gänzlich verschieden ausfallen, je nachdem Zwergsterne oder Riesensterne kollidieren oder je nachdem ein Zwergstern oder ein Riesenstern in eine Wolke kosmischen Staubes eintritt. Der Umstand, daß dies nicht der Fall ist, macht alle derartigen Erklärungsversuche von vornherein unwahrscheinlich.

Eine andere, wohl vorzuziehende Auffassungsweise setzt das Auftreten mächtiger Ausbrüche sehr hoch erhitzter Substanzen aus dem Innern des Sterns voraus, die in kurzer Zeit den Stern einhüllen und so für kurze Zeit sein Ausstrahlungsvermögen gewaltig erhöhen. Damit würde das Auftreten neuer Sterne in Parallele gesetzt werden zu einer Erscheinung, die wir auch auf der Sonne fortwährend beobachten können, nämlich den sogenannten eruptiven Protuberanzen, nur daß es sich bei den neuen Sternen um Vorgänge ganz anderer Größenordnung handelt. In experimenteller Hinsicht wird diese Auffassung dadurch sehr gestützt, daß gewisse Absorptionslinien des neuen Sterns stark nach violett verschoben sind, ein wohl sicherer Beweis dafür, daß aus dem Sterne riesige Gasmassen mit ungeheurer Geschwindigkeit herausstürzen. Auch noch andere Einzelheiten, auf die wir hier nicht eingehen können, scheinen gut in den Rahmen dieser Auffassungsweise hineinzupassen, wenn natürlich auch manche Begleiterscheinungen uns noch rätselhaft bleiben. Da nach Eddington im Innern des Sterns Temperaturen von mehreren Millionen Grad herrschen, so wird es ohne weiteres verständlich, daß bei einer Umhüllung eines Sterns durch derartige mit riesiger Geschwindigkeit herausstürzende Massen jene kolossale Lichtentwicklung erzeugt wird, die zur Zeit das Auffälligste am ganzen Vorgange ist. Die hohen Temperaturen der herausstürzenden Massen bedingen bekanntlich auch sehr große Ausstrahlungen von Energie, und dies erklärt wiederum sehr einfach, daß eine rasche Abkühlung erfolgt, die wir in dem schnellen Sinken der Helligkeit der entflammten neuen Sterne beobachten. Ob, wie bei sehr hoch erhitzten Massen es der Fall sein muß, seitens der neuen Sterne sehr kurzwelliges Licht, d. h. sogenannte Röntgenstrahlen, emittiert werden und ob vielleicht auch, falls - wie nicht unwahrscheinlich - die aus dem Innern des Sterns stammenden Massen stark radioaktive Substanzen enthalten, zugleich eine sehr harte, sogenannte g-Strahlung vom neuen Stern entsandt wird, ist bisher nicht untersucht worden. Es scheint empfehlenswert, daß man, wenigstens in einigen Sternwarten, sich mit Meßinstrumenten auszurüsten sucht, um beim künftigen Auftreten eines neuen Sterns zur Prüfung dieser ungemein wichtigen Fragen vorbereitet zu sein; allerdings wird es nicht ganz leicht sein, hauptsächlich wegen der störenden Absorption unserer Erdatmosphäre, derartige Meßinstrumente von genügender Empfindlichkeit zu schaffen.

Alle bisher beobachteten neuen Sterne waren so weit von uns entfernt, daß eine sichere Parallaxenbestimmung nicht möglich war; d. h., daß wir darüber im unklaren sind, wieweit der betreffende, plötzlich zu so hoher Glut gelangte Stern nun wirklich von uns entfernt ist. Unwillkürlich hat man bisher sich wohl meistens vorgestellt, daß ein an sich dunkler Stern plötzlich zu großer Helligkeit gelangte. Das ist aber offenbar eine willkürliche Annahme. Von vornherein ist es ebenso gut möglich, daß der betreffende neue Stern vor dem Aufflammen bereits ein sehr heller Stern war und uns nur deshalb so lichtschwach erschien, weil er eben ungeheuer weit von uns entfernt war. Wir werden sogar alsbald sehen, daß gerade diese letztere Annahme zurzeit als die wahrscheinlichere bezeichnet werden muß.

Die gegenwärtig herrschende Auffassung des Fixsternhimmels besteht darin, daß man annimmt, ein Stern bildet sich, wie bereits Kant es aussprach, aus Verdichtung von Weltenstaub; die Masse gerät hierbei unter immer fortschreitender Verdichtung zunächst in Rotglut, dann in Gelbglut, schließlich in hellste Weißglut, um dann wieder allmählich unter weiterer Kontraktion infolge der ungeheuren Wärmeabgabe durch Strahlung zu erkalten und so auf dem Wege des gelben und des roten Sterns in einen dunklen Stern sich zu verwandeln. Da der Stern in seiner Entwicklung, wie gesagt, immer dichter wird und daher immer mehr zusammenschrumpft, so ist ein roter oder gelber Stern im Anfangsstadium der Entwicklung sehr viel ausgedehnter als im späteren Stadium. Zunächst ist er also ein sehr heller Riesenstern, später verwandelt er sich in den sehr viel kleineren und daher viel lichtschwächeren Zwergstern. Eine allerdings nicht sehr reichhaltige Erfahrung hat gelehrt, daß die Massen der Sterne nicht sehr voneinander verschieden sind, was dann neuerdings dem englischen Astronomen Eddington bis zu einem gewissen Grade plausibel zu machen gelungen ist.

Ferner hat wohl bisher jeder Forscher, der sich eingehender mit der Entwicklung des Fixsternhimmels beschäftigt hat, sich auf den Boden der Hypothese des stationären Zustandes des Fixsternhimmels gestellt, nämlich der Annahme, daß im Mittel ebenso viele Sterne durch Erkaltung ausscheiden, wahrscheinlich sogar unser Milchstraßensystem verlassen, wie sich neue bilden. Ohne diese Vermutung zu Hilfe zu ziehen, sind wir überhaupt kaum imstande, über kosmische Fragen nachzudenken, aber andererseits hat, besonders auf dem Gebiete der Sternstatistik, diese Vermutung sich qualitativ und quantitativ außerordentlich bewährt. Freilich, die physikalische Erklärung der Möglichkeit jenes stationären Zustandes macht außerordentliche Schwierigkeiten, immerhin scheint sich eine Denkmöglichkeit gegenwärtig gefunden zu haben; wohl aber ließ sich die Zeitdauer der Entwicklung eines Sterns und ihrer einzelnen Stufen ziemlich sicher abschätzen. 1)

Es ist nun gewiß merkwürdig, daß man auf Grund der eben entwickelten, wie man wohl sagen kann, einfachen und durch ihre Einfachheit einleuchtenden Auffassungen unmittelbar zu einer wenigstens ungefähren Berechnung der Zahl der sogenannten neuen Sterne und damit zu einer neuen quantitativen Prüfung jener Auffassungen gelangen kann. Wir gehen also davon aus, daß das plötzliche Aufflammen eines Sterns durch einen riesigen Ausbruch der im Innern befindlichen ungeheuer heißen Massen erfolgt, und wir wollen zunächst die Annahme machen, daß jeder Stern in seinem Entwicklungsgange einmal einen solchen Ausbruch erleidet. Dann können wir sofort folgende einfache Überschlagsrechnung anstellen. Die Zahl der Sterne, die nach ihrem Aufflammen zum Teil uns überhaupt erst sichtbar werden, zum andern Teile aus einem schwachen Stern in einen relativ hellen sich verwandeln können, kann rund auf eine Milliarde geschätzt werden; die große Mehrzahl der Sterne, die man zu zählen vermag, sind natürlich die hellen Riesensterne, weil die Zwergsterne sich unserer Beobachtung großenteils entziehen. Das Entwicklungsstadium des Riesensterns läßt sich aber ebenfalls auf etwa eine Milliarde Jahre ansetzen. Wenn aber von einer Milliarde Sternen zufällig gerade jeder ebenfalls innerhalb einer Milliarde von Jahren einmal aufflammt, so müssen wir schließen, daß etwa jedes Jahr im Durchschnitt ein neuer Stern am Himmel erscheinen muß. Sieht man z. B. in der kürzlich erschienenen Monographie unseres Kollegen Guthnick über den Fixsternhimmel nach, so finden wir tatsächlich die Angabe, daß erfahrungsgemäß im Mittel ein bis zwei neue Sterne pro Jahr auftauchen.

Die Möglichkeit, numerisch die Zahl der Weltkatastrophen, mit denen wir uns hier beschäftigen, wenigstens schätzungsweise zu berechnen, ist gewiß eine überraschende Perspektive, und der soeben erreichte Erfolg muß uns ermutigen, der obigen Übereinstimmung mit der Erfahrung näher nachzugehen und sie womöglich genauer zu prüfen, als in der eben angestellten, etwas rohen Überschlagsrechnung geschehen. Der in die Rechnung eingesetzte Zeitraum von einer Milliarde Jahren dürfte einigermaßen zuverlässig sein; die Zahl der in Betracht kommenden Sterne ist vielleicht etwas groß angenommen und die erfahrungsmäßige Statistik, daß pro Jahr ein bis zwei neue Sterne im Mittel auftreten, unterliegt dem Bedenken, daß sehr weit entfernte neue Sterne häufig nur die achte bis zehnte Größenklasse erreichen, so daß zweifellos eine Anzahl neuer Sterne, weil nur durch empfindliche Beobachtungsmethoden nachweisbar, der Wahrnehmung entgehen. Alle die eben erwähnten Umstände sprechen dafür, daß ein Stern in seiner Entwicklung zwar kaum sehr häufig, aber immerhin mehrere Male aufflammt. Ehe wir dazu übergehen, das über neue Sterne vorhandene Beobachtungsmaterial genauer rechnerisch zu verwerten, als in unserer Überschlagsrechnung geschehen, wollen wir uns fragen, ob wir nicht über die Entstehung der gewaltigen Eruptionen etwas aussagen können.

Die von Kant zuerst aufgestellte, später gelegentlich von Helmholtz weiter ausgearbeitete Hypothese, daß ein heller Stern durch das Zusammenballen von Weltenstaub infolge der Newtonschen Anziehung entsteht, vermag wohl kaum uns hier einen Wink zu geben. Aber wir wissen heute, daß die durch Kontraktion infolge der Newtonschen Gravitation entwickelte Wärme für die Energiebilanz eines Fixsterns von ganz untergeordneter Bedeutung ist, und daß im Innern der Sterne, zumal im Anfangsstadium, d. h. im Innern der Riesensterne, Wärmemengen entwickelt werden müssen, die die ungeheure Wärmestrahlung des Sterns überhaupt erst ermöglichen. Die zurzeit wahrscheinlichste und durch mancherlei Betrachtungen zu erhärtende Annahme besteht darin, daß die Wärmestrahlung durch den radioaktiven Zerfall sehr hochatomiger Elemente gedeckt wird, da jener Zerfall bekanntlich unter gewaltiger Wärmentwicklung verläuft. Im Riesensternstadium ist, wie die Beobachtung lehrt, die Wärmeentwicklung rund 100 mal größer als im späteren Zwergsternstadium, indem der Vorrat an radioaktiver Substanz nach bekannten Gesetzen allmählich aufgebraucht wird. Es drängt sich der Gedanke auf, daß die gewaltigen Eruptionen, die das Aufflammen eines "neuen Sterns" hervorrufen, mit den radioaktiven Prozessen oder, wenn wir diese spezielle Annahme als zu hypothetisch lieber ausschalten wollen, mit der rätselhaften, aber sicher vorhandenen gewaltigen Wärmeentwicklung im Riesensternstadium zusammenhängt. Wir gelangen also zu der Auffassung, daß jene ungeheuren Ausbrüche eine Eigenschaft der Riesensterne sind.

Dies wird sich im Laufe der Zeit zuverlässig experimentell prüfen lassen; gegenwärtig reicht zu einer völlig sicheren Entscheidung das Beobachtungsmaterial kaum aus. Von dem Assistenten an der Sternwarte in Neu-Babelsberg, Herrn Dr. Pavel, auch hierbei freundlichst unterstützt, hat die Durchmusterung der bisherigen Beobachtungstatsachen folgendes ergeben:

  1. Von einem einzigen Sterne ist bisher, bevor er aufflammte, das Spektrum untersucht; dasselbe entsprach in der Tat dem späteren Riesensternstadium.
  2. Acht Sterne sind vor ihrem Aufflammen sicher bekannt gewesen; bei allen diesen Sternen ergab sich die Parallaxe unmeßbar klein, d. h. sie sind sehr weit von uns entfernt. Da sie trotzdem vor dem Aufflammen deutlich sichtbar waren, so spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, daß sie sämtlich vor dem Aufflammen im Riesensternstadium sich befanden.
  3. Auch an der berühmten Nova Aquilae vom Jahre 1918 hat man mit den allerfeinsten Hilfsmitteln die Entfernung zu messen gesucht; da letztere sich aber trotzdem unmeßbar groß ergab, so ist es kaum zu bezweifeln, daß es sich hier um einen Riesenstern handelte.
  4. Schon längst ist aufgefallen, daß die neuen Sterne hauptsächlich in der Nähe der Milchstraßenebene auftraten, genau wie die B-Sterne und wie die Wolf-Rayet-Sterne, und da letztere dem (späteren) Riesensternstadium angehören, so liegt es wohl nahe, das gleiche für die neuen Sterne anzunehmen.

Wie oben bemerkt, für absolut entscheidend möchte ich die vorstehenden Gründe nicht ansehen, aber immerhin berechtigen sie uns, bis auf weiteres bei allen künftigen Betrachtungen die Annahme zu machen, daß der plötzliche ungeheure Zuwachs an Helligkeit eine Erscheinung des Riesensternstadiums, und zwar hauptsächlich des späteren Riesensternstadiums, ist, daß also, wie oben bereits geschehen, rund eine Milliarde Jahre im Leben eines Sterns anzunehmen sind, während welchen Zeitraums die Möglichkeit eines starken plötzlichen Aufflammens gegeben ist.

Nunmehr sind wir in der Lage, eine ziemlich zuverlässige Statistik neuer Sterne aufzustellen. Im Zeitraum von 1860 bis 1920, also während 60 Jahren, wurde der Himmel durch viele Sternwarten stets unter so genauer Kontrolle gehalten, daß das Aufflammen eines neuen Sterns, der mindestens bis zur Helligkeit fünfter Größe emporstieg, wohl kaum je übersehen werden konnte. Wenn wir ferner nur solche Sterne zählen, die vor dem Aufflammen mindestens 13. - 14. Größe waren, so haben wir eine sichere Unterlage für die Zahl der in Betracht kommenden Sterne. Es gibt deren rund 10 Millionen, unter denen sich etwa 8 Millionen Riesensterne befinden 2). Von diesen 8 Millionen Sternen sind in dem erwähnten Zeitraume vier aufgeflammt, im Mittel also immer einer alle 15 Jahre. Würde von den 8 Millionen Sternen in dem ihnen zur Verfügung stehenden Zeitraume von einer Milliarde Jahren jeder einzelne einmal in das Novastadium gelangen, so würde (109/8.106 = 125) im Mittel alle 125 Jahre ein Stern der von uns herausgeschnittenen Sterngruppe (Sterne bis mindestens 13. - 14. Größe) aufgeflammt sein. Da aber, wie wir oben sahen, alle 15 Jahre im Mittel ein Aufflammen erfolgt ist, so bedeutet dies, daß jeder einzelne Stern während des Riesensternstadiums, d. h. während einer Milliarde Jahre, etwa acht Ausbrüche erlebt, anstatt eines einzigen, wie wir zunächst versuchsweise angenommen hatten.

Daß wir bei einem und demselben Sterne ein mehrmaliges Aufflammen direkt beobachten könnten, würde, wenn, wie gesagt, acht Ausbrüche sich auf eine Milliarde Jahre verteilen, nur zu erwarten sein, wenn das Menschengeschlecht den Sternhimmel etwa hundert Millionen Jahre lang beobachten könnte. Einige Geduld würde also dazu erforderlich sein. Auf der anderen Seite kann die beruhigende Zusicherung mit einiger Wahrscheinlichkeit gegeben werden, daß die klimatischen Verhältnisse der Erde die Existenz des Menschengeschlechts, wenigstens in der Nachbarschaft des Äquators, noch mehrere hundert Millionen Jahre zu gestatten scheinen.

Es dürfte die obige statistische Berechnung auf einem einigermaßen sicheren Boden 3) sich befinden; da es sich um eine Wahrscheinlichkeitsberechnung handelt, so bedeutet es allerdings ein gewisses Manko, daß nur vier neue Sterne 4) zur Beobachtung gelangt sind, die den erforderlichen Bedingungen genügten, was für statistische Berechnungen natürlich etwas wenig ist. Wir können zum Glück als wertvolle Ergänzung eine zweite analoge Rechnung anstellen.

Beschränken wir uns auf den Zeitraum von 1900 - 1920, so können wir hier dank der besonders durch die vortreffliche Ausbildung photographischer Methoden vorgeschrittenen Technik wohl annehmen, daß auch Sterne, die nach dem Aufflammen nur bis mindestens 9. Größe anstiegen, der Aufmerksamkeit der Astronomen nicht entgangen sind. Zählen wir daher alle beobachteten neuen Sterne in dem erwähnten Zeitraume, die vor dem Aufflammen mindestens 15. - 16. Größenklasse waren, so handelt es sich hier um rund 40 Millionen Sterne, die in diese Kategorie fallen, von denen in dem erwähnten Zeitraum sieben 5) aufgeflammt sind, also rund alle drei Jahre einer. Da wir annehmen dürfen, daß darunter etwa 30 Millionen Riesensterne sich befinden, so kommen wir zu ziemlich demselben Resultat wie vorher, nämlich, daß von der herausgeschnittenen Gruppe jeder Stern während des ihm zur Verfügung stehenden Zeitraumes von einer Milliarde Jahren etwa zehn Ausbrüche erlebt hat. Ich denke, wir verfahren vorsichtig und tragen der Unsicherheit derartiger Statistik weitgehend Rechnung, wenn wir schließlich zusammenfassend sagen: es ist unwahrscheinlich, daß ein Riesenstern weniger als drei und mehr als zwanzig Ausbrüche erlebt, die seine Helligkeit vorübergehend auf den zehntausendfachen bis millionenfachen Betrag steigern, und wahrscheinlich erlebt jeder Riesenstern sechs bis zwölf derartige Ausbrüche.

Als ich vor einigen Wochen mit einem unserer führenden auswärtigen Astronomen Gelegenheit fand, die vorstehend skizzierte Berechnungsmethode zu besprechen, machte er mich sofort darauf aufmerksam, daß ja nunmehr auch klargestellt sei, warum immer nur sehr weit entfernte, dem unbewaffneten Auge völlig unsichtbare Sterne die plötzliche Helligkeitszunahme, die das Nova-Stadium charakterisiert, aufweisen; die Zahl der uns hinreichend benachbarten Sterne ist eben zu klein, als daß nach den Wahrscheinlichkeitsgesetzen Aussicht vorhanden wäre, diese Erscheinung zu erleben.

Indem wir diesem Gedanken näher nachgehen, können wir etwa folgende Überschlagsrechnung anstellen. Mit bloßem Auge sehen wir etwa sechstausend Sterne am gesamten Fixsternhimmel, von denen etwa fünftausend Riesensterne sind. Würde einer dieser Sterne aufflammen, so würde er hell genug werden, um auch bei hellem Tage als stark leuchtender Punkt (weit heller als Tychos Stern) die Aufmerksamkeit der Menschheit hervorzurufen. Die Erscheinung wäre so merkwürdig und überraschend gewesen, daß die Tradition sie uns sicherlich aufbewahrt hätte. Wir dürfen annehmen, daß diese Erscheinung in den letzten dreitausend Jahren sich nicht ereignet hat. In der Tat, daß von fünftausend Sternen, von denen jeder zehnmal während einer Milliarde Jahre aufflammt, einer in einem gegebenen Zeitraume von dreitausend Jahren diese Katastrophe erfährt, ist ziemlich unwahrscheinlich, wenn es auch durchaus möglich gewesen wäre; denn man findet leicht, daß das betreffende Ereignis nur alle zwanzigtausend Jahre im Mittel einmal zu erwarten ist 6).

Unser leider kürzlich verstorbener Kollege Rubens, mit dem ich derartige Fragen zu besprechen pflegte, fragte einmal: Was würde passieren, wenn die Sonne plötzlich ein neuer Stern würde? Wenn die Sonne auch nur während eines Tages plötzlich mit hunderttausendfacher Kraft der Erde ihre Wärme spendete, so würde das für letztere natürlich katastrophal sein, die gewaltige Temperatursteigerung würde ihre sozusagen sterilisierende Wirkung ausüben und alles organische Leben ertöten. Nach unserer Theorie, die alle gewaltigen Ausbrüche auf eine Zeit beschränkt, in der die Sonne noch einen mehrfach größeren Durchmesser als heute besaß und mit etwa dreißig- bis fünfzigfacher Intensität strahlte, ist eine derartige Katastrophe so gut wie ausgeschlossen, im Einklang übrigens mit den Ergebnissen der Geologie und Paläontologie 7), die mit einer, wenn auch nur vorübergehend, auf das hunderttausendfache gesteigerten Sonnenstrahlung ganz unvereinbar sind; mindestens während der letzten fünfhundert Millionen Jahre kann ein solches Ereignis nicht stattgefunden haben. Die Sonne befindet sich bereits mehr als eine Milliarde von Jahren im Stadium eines Zwergsterns, und wir sehen also, daß das Ausbleiben von riesigen Ausbrüchen mindestens während der zweiten Hälfte dieses Stadiums ebenfalls vollkommen in den Rahmen unserer Betrachtungen hineinpaßt.

Die Zahl der Ausbrüche, die wir einem Riesenstern und daher natürlich auch der Sonne in ihrem Anfangsstadium zuschreiben müssen, stimmt etwa mit der Zahl der großen Planeten überein. Dies kann Zufall sein; aber da die Bildung der Planeten noch in tiefes Dunkel gehüllt ist, erwächst zweifellos der astro-physikalischen Forschung die Aufgabe, sorgfältig zu prüfen, ob nicht etwa ein Zusammenhang zwischen den Riesenprotuberanzen, die nach der gegenwärtig großenteils herrschenden Auffassung das Aufflammen neuer Sterne bedingen, und der Planetenbildung besteht.

Von allen Wissenschaften erfreut sich die messende Astronomie - in erinnere z. B. an die absolut exakte Vorhersage der Sonnenfinsternisse - einer ganz ungewöhnlichen Sicherheit, die sie fast der Mathematik ebenbürtig macht. Das Bild ändert sich aber, wenn man anstatt messender Astronomie Astrophysik zu treiben versucht; dann sinkt aus vielen Gründen die Sicherheit der Schlußweise weit unter diejenige, mit der etwa Physiker und Chemiker zu operieren pflegen. Ohne gewagte Hypothesen kommt man hier nicht vorwärts; aber man kommt vorwärts, wenn unerwartet quantitative Beziehungen sich aufdecken lassen, an deren Realität kaum zu zweifeln ist.

Schließlich möchte ich noch das Resultat einer einfachen Rechnung mitteilen, die uns ziffernmäßig die Ungeheuerlichkeit der von uns betrachteten Weltkatastrophe darlegen soll und fast mit physikalischer Exaktheit durchgeführt werden kann. Als unsere Sonne im späteren Riesenstadium sich befand, emittierte sie eine etwa dreißigmal größere Wärmemenge als heute (40.1041 Erg.). Nehmen wir an, daß sie während dieser Zeit einen Ausbruch erlebt hätte, der während eines Tages ihre Strahlung auf den hunderttausendfachen Betrag gebracht hätte, so würde während dieses Tages gerade das Zehnfache derjenigen Wärmemenge in den Weltenraum ausgestrahlt sein, die entwickelt worden wäre, wenn die ungeheure Masse der Sonne ganz aus rauchlosem Pulver bestanden und plötzlich sich entzündet hätte.

Wir sehen also, auch jene ungeheuren Weltkatastrophen, mit denen wir uns heute beschäftigt haben, lassen sich numerischen Berechnungen unterwerfen; darauf aber muß stets das Bestreben der exakten Naturforschung gerichtet werden, für die nun einmal die Zahl das Maß aller Dinge sein und bleiben muß.


1) Vgl. hierzu und überhaupt zu den im Vorstehenden benutzten Anschauungen meine kleine Schrift: "Das Weltgebäude im Lichte der neueren Forschung" (1921 bei Jul. Springer).

2) Vgl. hierzu die Tabelle bei Newcomb-Engelmann, Populäre Astronomie, herausgegeben von H. Ludendorff, S. 540 (Leipzig 1921).

3) Indem wir die dem Riesensternstadium zugemessene Zeit auf eine Milliarde Jahre abschätzen, müssen wir uns bewusst bleiben, daß dieselbe vielleicht auch nur halb so groß, kaum noch kürzer sein kann und daß andererseits mit der Möglichkeit einer etwas längeren, aber wohl kaum doppelt so langen Zeit gerechnet werden muß. Hierbei wird allerdings vorausgesetzt, daß die Bestimmung des Alters der Erde mit Hilfe der "Uranbleimethode" (vgl. darüber z. B. meine oben zitierte Schrift) die Zuverlässigkeit besitzt, die ihr allgemein zugesprochen wird. - Der Umstand, daß meine oben mitgeteilten Rechnungen sich, wie es scheint, zu einem in sich widerspruchsfreien Bilde zusammenschließen, dürfte aufs neue die Zuverlässigkeit obiger Methode erhärten. Wie man aber auch darüber denken mag, zurzeit gibt es gewiß keine andere Basis für derartige Rechnungen, als die von mir benutzte.

4) Es sind dies: Nova T Coronae (1866), Nova Persei Nr. 2 (1901), Nova Lacertae (1910), Nova Aquilae Nr. 3 (1918); vgl. Newcomb-Engelmann S. 662.

5) Es sind dies: Nova Persei Nr. 2 (1901), Nova Circini (1906), Nova Sagittarii Nr. 3 (1910), Nova Lacertae (1910), Nova Geminorum (1912), Nova Monoceratis (1918), Nova Aquilae Nr. 3 (1918).

6) 50000 Fälle, auf eine Milliarde Jahre verteilt, geben im Mittel einen Fall auf 20000 Jahre.

7) Darauf, daß die älteren Schätzungen des Alters unseres Sonnensystems auf 10 bis 20 Millionen Jahre unhaltbar sind, indem die geologischen Beobachtungen mindestens mehrere hundert Millionen Jahre verlangen, hat meines Wissens zuerst Hr. A. Penck (1895) mit voller Entschiedenheit hingewiesen; der Umstand, daß die gleichen Beobachtungen nichts von einer so katastrophalen Änderung erkennen lassen, wie sie ein Riesenausbruch der Sonne nach sich ziehen würde, spricht in der Tat wohl sehr dafür, daß diese Ausbrüche auf das Anfangsstadium der Sonne sich beschränkt haben.


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Revised 2003-10-15