Excerpts from: Felix Pinner. Emil Rathenau und das elektrische Zeitalter. Akademische Verlagsgesellschaft m. b. H., Leipzig, 1918. 408 pp.


[pp. 189 - 190]

Im Jahre 1898 erwarb die A. E. G. die Nernstlampe, die nach dem Erfinder Prof. Dr. Nernst in Göttingen diesen Namen erhalten hat, und suchte, zunächst durch Laboratoriumsarbeit die praktische Verwertbarkeit dieser Lampe zu erreichen und sie für die Fabrikation vorzubereiten. Darüber wurde im Geschäftsbericht dieses Jahres geschrieben:

"Im Laboratorium beschäftigen wir uns seit Mitte März mit der Erfindung des Herrn Professors Dr. Nernst in Göttingen. Das Prinzip derselben läßt sich kurz dahin charakterisieren, daß, ähnlich wie beim Gasglühlicht anstatt leuchtender Kohlenpartikelchen Substanzen von besserer Lichtemission durch die Flammgase zum Glühen gelangen, so auch in der neuen Lampe anstatt Kohlenkörper, sie sowohl beim elektrischen Bogen- wie Glühlicht bisher praktisch ausschließlich zur Verwendung kamen, unverbrennliche Substanzen von hohem Lichtvermögen durch den galvanischen Strom zur blendenden Weißglut erhitzt werden. Die Hauptschwierigkeiten, die der Übertragung der Erfindung in die Praxis anfänglich entgegenstanden, und welche einerseits die Anregung der im kalten Zustande isolierenden Glühkörper, andererseits die Erzielung genügender Haltbarkeit und Konstanz der Glühkörper bot, können jetzt als bis zum gewissen Grade überwunden angesehen werden. Der Nutzeffekt der Lampen ist z. Zt. etwa derjenige kleinerer Bogenlampen, also erheblich besser als derjenige der bisherigen Glühlampen. Es steht zu hoffen, daß sich der Nutzeffekt noch merklich steigern wird, und daß sich Glühkörper bis zu fast beliebigen Kerzenstärken werden herstellen lassen. In der Bequemlichkeit oder Handhabung sind die neuen Lampen den Bogenlampen offenbar überlegen, stehen aber darin den gewöhnlichen Glühlampen erheblich nach. Wir glauben nicht, daß die neue Lampe die bisherigen Systeme elektrischer Beleuchtung verdrängen wird, vielmehr scheint uns sicher, daß sie neben jenen ihr Anwendungsgebiet sich erobern wird."

Die Exploitation der Lampe nahm indes unerwartet viel Zeit in Anspruch, trotzdem unermüdlich unter tätiger und ratender Mitarbeit Emil Rathenaus an ihr gearbeitet und experimentiert wurde. 1899 hieß es: "Die technische und wirtschaftliche Bedeutung der Nernstlampe werden wir zu erproben Gelegenheit haben, sobald die im Bau begriffenen Werkstätten uns in den Stand setzen, die der regen Nachfrage entsprechenden Mengen herzustellen. Das Hauptpatent ist in Deutschland nach Erledigung verschiedener Einsprüche erteilt worden. Die Option auf die übrigen Patente mit Ausnahme derer für Österreich-Ungarn, Italien und der Balkanländer haben wir ausgeübt." - Die Hauptschwierigkeit lag danach nicht mehr in der Konstruktion, sondern in der Produktion, deren Überführung ins Große sich Hindernisse in den Weg stellten. Sie waren auch im  folgenden Jahre noch nicht behoben. Endlich im Jahre 1900/01 war das Stadium der Versuche und Enttäuschungen überwunden, worüber die Gesellschaft mit folgenden Sätzen im Geschäftsbericht quittierte:

"Ein voller Erfolg ist nach jahrelanger, mühsamer Arbeit die Einführung der Nernstlampe geworden. Die schöne und zugleich sparsame Lichtquelle befindet sich in Hunderttausenden von Exemplaren bereits im Gebrauch und gewinnt infolge sehr günstiger Betriebserfahrungen und der äußerst befriedigenden Meßresultate der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt täglich weitere Kreise."

Vermochte die A. E. G. auf dem Gebiete der Beleuchtungstechnik ihre dominierende Stellung (wenn auch unter ständiger, gewaltiger Steigerung der Absatzquantität) nur gerade zu behaupten, während ihren Plänen, neue Vorsprünge vor der Konkurrenz zu gewinnen, - wie die Folgezeit lehren sollte - trotz der Nernstlampe ein durchschlagender und dauernder Erfolg nicht beschieden war, so wurden auf anderen Gebieten Leistungen vollbracht, die durchaus den Stempel des Neuartigen, Schöpferischen trugen.

[p. 247]

[...]; die Nernstlampe, so ingeniös ihre Idee auch war und so enormen Aufwand an Kapital und Arbeit in der Konstruktion und Propaganda die A. E. G. ihr auch widmete, blieb eine Sonderlichtquelle von schönem, reichem und stromsparendem Licht. Sie bedeutete für gewisse Zwecke einen beachtenswerten Fortschritt, es fehlte ihr aber doch das Zündende und Einfache, das sie zu einem Massenbeleuchtungsmittel hätte machen können. Der Optimismus Emil Rathenaus sollte sich diesmal nicht ganz als gerechtfertigt erweisen. "Wiederum stehen wir," so hatte Rathenau in der Generalversammlung der A. E. G. vom November 1899 prophezeit, "wie damals in Paris an der Wiege einer neuen Beleuchtungsart." Gerade aber das, was Rathenau von der Erfindung der elektrolytischen Beleuchtungskörper erwartet hatte, daß "das elektrische Licht mit ihr nicht länger seinen Triumphzug auf Paläste und vornehme Häuser beschränken würde, sondern vielmehr in die Hütten und Werkstätten Minderbemittelter eindringen und den Wettbewerb mit untergeordneten Beleuchtungsmitteln auch ökonomisch bestehen würde," hat sich mit der Nernstlampe noch nicht erfüllt. Diese Aufgabe wurde erst mit der Metallfadenlampe gelöst.

[pp. 282 - 284]

Eine eigenartige Entwickelung nahm im neuen Jahrhundert die Beleuchtungs-Industrie. Die A. E. G. hatte durch Übernahme und Entwickelung der Nernstlampe die Führung auf diesem Urgebiete der Starkstromtechnik, die sie bei ihrer Gründung durch den Erwerb der Edisonpatente für Deutschland inne gehabt hatte, sich von neuem sichern und festigen wollen. Große Mittel waren in diese Lampe investiert worden, der Erfolg hatte sich allmählich eingestellt, überwältigend wäre er nie geworden, - auch wenn die bessere Metallfadenlampe nicht gekommen wäre, und sofort über die gute Nernstlampe den Sieg davon getragen hätte.

Die sogenannten "ökonomischen" Lampen waren nicht aus einer in sich selbst begründeten Fortentwicklung der elektrischen Glühlampe entstanden, sondern sie wurden gesucht und gefunden, weil das Gasglühlicht in seinen modernen Formen die "stromfressende", teure und lichtschwache Kohlenfadenlampe völlig zu verdrängen drohte. Zuerst hatte man es mit einer Verbesserung der Ökonomie des Kohlenfadens versucht und durch die sogenannte Metallisierung dieses Fadens in der Tat eine Stromersparnis von etwa 30% zu erreichen verstanden. Das genügte aber nicht lange und höhere Glühtemperaturen ertrug der Kohlenfaden nicht. Schon vorher war Nernst auf den Plan getreten. Er nahm an, daß unter den metallisch leitenden Körpern (den sogenannten Leitern I. Klasse) sich keine Substanz befinde, die für die Herstellung einer wirklich ökonomischen Lampe geeignet sei. Er benutzte darum als Glühkörper seltene Oxyde, bei denen die Leitfähigkeit elektrolytischer Natur ist, die allerdings den Nachteil haben, den elektrischen Strom erst in der Wärme zu leiten. Es dauerte darum stets einige Zeit, ehe die Nernstlampe zu leuchten begann. Die Glühstäbchen mußten erst glühend geworden sein. Die A. E. G. hat auf alle mögliche Weise versucht, diesen Nachteil zu beheben oder doch abzumildern. Sie stellte in der sogenannten Expreßlampe eine Kombination der Heizspirale der Nernstlampe mit sofort leuchtenden Glühfäden her, ein höchst kunstreiches Produkt, das aber naturgemäß nicht zur Billigkeit eines Massenartikels zu bringen war. Auch die sogenannte Mehrfach-Lampe, die eine Anordnung mehrerer Nernstlampen zur Verwendung für die verschiedensten Zwecke darstellte, konnte den Hauptnachteil nicht beheben. Es ist eine seltsame Ironie des Schicksals, daß es gerade Auer von Welsbach, der Erfinder des Gasglühlichtes war, dem als zweiter großer Wurf seines Lebens die Konstruktion der elektrischen Lampe gelang, die einzig und allein imstande gewesen ist, die Niederlage des elektrischen Glühlichts im Kampfe mit dem Gasglühlicht zu verhindern. Auer von Welsbach teilte die Ansicht Nernsts nicht, daß unter den Metallen keine für die Herstellung ökonomischer Lampen geeignete Substanz zu finden sei. Nach langen und mühevollen gelang es ihm, im Osmium der Platingruppe (wer erinnert sich nicht der ersten Versuche Edisons zur Herstellung des Kohlenfadens?) ein Metall zu finden, das nur im elektrischen Lichtbogen geschmolzen werden konnte. Helles Licht, große Fortschritte in der Stromökonomie und verhältnismäßig lange Lebensdauer waren schon die Vorzüge dieser ersten Metallfadenlampe, die den Anstoß zu neuen, immer vollkommeneren Konstruktionen gab. Emil Rathenau, der die Nernstlampe doch gewiß außerordentlich hoch eingeschätzt hatte, besaß wissenschaftliche Einsicht und kritische Objektivität genug, um sofort zu erkennen, daß die Bahn Auer von Welsbachs die erfolgversprechendere war und daß seine eigene Mühe und der gewaltige Aufwand, den er an die Nernstlampe gewandt hatte, diese nicht zu retten vermochten. Eine Spezialfabrik, die in eine solche grundsätzlich "überwundene" Konstruktion viele Millionen hineingesteckt haben würde, ohne sie schließlich produktiv machen zu können, hätte den Schlag wahrscheinlich überhaupt nicht verwunden. Auch ein gemischtes Unternehmen, das aus großen Reserven die entstandenen Verluste nicht hätte ausgleichen können, würde schwer unter dem Fehlschlag gelitten haben. Die A. E. G., die alle für die Nernstlampe gemachten Investitionen sofort abgeschrieben hatte, vermochte ihn angesichts ihrer inneren Stärke ohne äußerlich erkennbare Schäden zu überwinden, und konnte sich sofort mit erheblichen Geldkräften der neuen Industrie der "seltenen Metalle" zuwenden. Im Jahre 1909 wird der Nernstlampe auch offiziell im Geschäftsbericht der Begräbnisschein ausgestellt. "Nur noch Ersatzbrenner und Projektionslampen werden verkauft."


Walther Nernst homepage


Revised 2003-11-09