Article in a newspaper, 1923.


Das Weltall.

Vortrag von Professor Nernst.

m. Auf dem gestrigen 102. Stiftungsfest des Vereins zur Beförderung des Gewerbefleißes in der Technischen Hochschule sprach der Präsident der physikalisch-technischen Reichsanstalt, Professor Dr. Nernst, über die "Energiebilanz des Weltalls". Das Werden der Weltkörper und die von ihnen ausgehenden Kräfte erläuterte er an den Vorgängen, die zur Bildung der Sonne und der Gestirne geführt haben. Insbesondere hat ihre Wärmestrahlung eine ganz neue, von den früheren durch Kant und Helmholtz aufgestellten Theorien abweichende Erklärung gefunden. Beruhte diese im wesentlichen auf der Gravitation, so müssen wir heute auf Grund neuerer Beobachtungen bei den radioaktiven Elementen annehmen, daß diese auch bei der Sonnenstrahlung eine erhebliche Rolle spielen. Anders läßt sich Menge und Dauer der in der Strahlung enthaltenen Energie nicht befriedigend erklären. Das heißt also, die Weltkörper entstehen aus radioaktivem, kosmischem Staub, der sich zusammenballt. Durch den Zerfall der hochatomigen radioaktiven Elemente in niederatomige werden die ungeheuren Energiemengen frei, die als Wärmestrahlung das Weltall erfüllen. Eben dieser Zerfall macht nun auch das Entstehen und Vergehen von kosmischen Gebilden verständlich: wie wir es bei mineralischen Körpern (zum Beispiel dem Uran) beobachten, entstehen infolge der Radioaktivität neue Energien, und so muß man sich die Bildung neuer Weltkörper aus dem Zerfall vorhandener denken. Damit wird sozusagen die Energiebilanz des Weltalls konstant, und weiter können wir das Alter der kosmischen Körper sowie ihre Temperaturen (mit Hilfe spektroskopischer Methoden) annähernd bestimmen. Die Außentemperatur der Sonne wäre danach etwa 6000 Grad Celsius, die des Sirius 10000 Grad. Das Alter der Erde würde ungefähr 1½, das der Sonne drei Milliarden Jahre betragen. Die geistvollen Ausführungen Nernsts, die interessante Einblicke in das kosmische Geschehen gewährten, gipfelten in einer überraschenden Feststellung: die Goldmacherei und das Perpetuum mobile sind keine Hirngespinste mehr; denn da uns die Radioaktivität die Umwandlung der Elemente ineinander verständlich macht, ist theoretisch die Herstellung des Goldes aus anderen Elementen möglich. Allerdings vorläufig nur theoretisch, da der Vorgang so ungeheuerliche Energiemengen erheischt, wie sie wohl der Kosmos, aber nicht die "schwarze Küche des Adepten" zur Verfügung hat. Das gleiche gilt vom Perpetuum mobile, für das man - praktisch gesprochen - ausreichende Energiemengen aus der Umwandlung der Metalle gewinnen könnte. Diese müssen natürlich zur Verfügung stehen, und die Energieumwandlung müßte uns in nutzbarer Form gelingen.


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Revised 2003-09-07